Shrimps: Was einst den weltweiten Hunger dezimieren sollte, zerstört die Lebensgrundlage vieler Menschen
Was früher noch eine exklusive Spezialität war, liegt heute in der Kühltheke fast jeder Supermarktkette aus: Shrimps, Crevetten oder Gambas. Besonders während der Feiertage finden sie reißenden Absatz. Dabei wissen viele Menschen nicht, wie problematisch der Konsum von Shrimps ist und welche Probleme die hohe Nachfrage mit sich zieht.
Die Shrimpsproduktion wurde in den 70ern angetrieben, um den Eiweißmangel der Bevölkerung in den Entwicklungsländern zu bekämpfen. Finanziert durch die Weltbank und andere Organisationen wurden Aquakulturen geschaffen, um die besonders proteinreichen Tiere zu züchten. Was dabei jedoch nicht bedacht wurde: Die neue Nahrungsquelle konnten sich die wenigstens Einheimischen leisten. Stattdessen entwickelte sich eine gewinnbringende Exportindustrie. 1)NewInternationalist: The blue revolution; Ausgabe 234, Artikel vom August 1992
Eine Aquakultur an sich klingt zunächst nach einer guten Sache. Schließlich werden dadurch unsere überfischten Meere geschont und den ortsansässigen Fischern nicht ihre Lebensgrundlage genommen. Doch weit gefehlt:
Um Platz für Zuchtbecken zu schaffen, werden Mangrovenwälder abgeholzt. Mangroven sind salztolerante Bäume und Sträucher mit freiliegenden Stelzwurzeln. Ihr schützendes Wurzelwerk ist Kinderstube für viele Fischarten und andere Meerestiere, die an tropischen und subtropischen Küstengebieten wachsen. Auch viele Säugetiere und Vögel nutzen ihren Schutz zur Aufzucht ihres Nachwuchses. Das Wurzelwerk der Mangroven filtert das Wasser. Küstensediment wird angereichert, wodurch die Küstenlinien gefestigt und stabilisiert werden. Infolgedessen schützen Mangrovenwälder die Küstengebiete vor Überschwemmungen und Fluten. Eine Sturmflut in Bangladesh forderte 1991 1000 Todesopfer. Bei einer vergleichbaren Flut 1960, als die Mangrovenwälder noch nicht abgeholzt waren, kam kein Mensch zu Schaden.2)Pro Regenwald: Mangrovenwälder; Artikel vom 30.10.2010 Gerade in Zeiten eines steigenden Meeresspiegels und stärker werdender Fluten spielt die Schutzwirkung durch Mangrovenwälder eine immer wichtigere Rolle. Denn durch Anpassung ihres Wurzelwerks an Schwankungen im Meeresspiegel erhalten Mangrovenwälder auch bei Meeresspiegelerhöhungen ihre schützenden Eigenschaften. Zugleich binden sie drei- bis fünfmal mehr CO2 als gewöhnliche Wälder und wirken so dem Klimawandel entgegen. 3)wwf.de: Ökosystem Mangroven in Gefahr; Artikel vom 13.09.2019 4)epo.de: Mangroven schützen weltweit 18 Millionen Menschen; Artikel vom 03.05.2018
Durch die Abholzung der Mangroven kommt es zu Küstenerosionen und Landverlust. Im Zuge dessen bleibt der Fischnachwuchs aus. Eine Befragung ecuadorianischer Fischer ergab, dass ihre Fischerträge mit der Mangrovenvernichtung innerhalb von 10 Jahren um 90 Prozent zurückgingen.5)Pro Regenwald: Mangrovenwälder; Artikel vom 30.10.2010 Denn es fehlt den Meerestieren nicht nur der Schutz durch die Mangrovenwälder, um genügend Nachwuchs zu produzieren. Für die Aquakulturen werden regelmäßig Shrimpslarven aus dem Meer gefischt, die dann im natürlichen Kreislauf fehlen. Zudem braucht man für ein Kilo Shrimps, drei Kilo Fisch als Futter. Eine Nahrungsquelle, die der einheimischen Bevölkerung verloren geht. Wobei vielen Fischern der Zugang zum Meer ohnehin durch die vielen Aquakulter-Anlagen, die sich teilweise kilometerweit an den Küstenlinien erstrecken, verbaut ist. 6)greenpeace.de: Shrimps: Delikatesse im Norden – Zerstörung im Süden; Archiv-Artikel
Doch Aquakulturen entziehen der Küstenbevölkerung noch auf weiteren Wegen ihre Lebensgrundlage.
Die Lebensdauer der Shrimpsfarmen ist auf 5 – 10 Jahre begrenzt. Denn der enormem Umweltverschmutzung, die sie schaffen, können sie selbst nicht standhalten.7)greenpeace.de: Shrimps: Delikatesse im Norden – Zerstörung im Süden; Archiv-Artikel Die Farmen haben einen massiven Bedarf an Brack- und Süßwasser, das zur Regulierung des Sauerstoffniveaus notwendig ist. Dadurch sinkt das Grundwasser in relativ kurzer Zeit. Die Abwässer aus den Becken führen häufig zur Versalzung der umliegenden Böden und zur Überdüngung der Küstengewässer. Im Umkreis reichern sich teilweise regelrechte Giftalgenbrühen an und verhindern den Anbau von Lebensmitteln.8)greenpeace.de: Shrimps: Delikatesse im Norden – Zerstörung im Süden; Archiv-Artikel
Durch extrem hohe Besatzdichten in den Becken besteht ein immens hohes Infektionsrisiko, das den Ertrag innerhalb eines Tages vernichten kann. Um vorzubeugen, werden massiv Antibiotika eingesetzt, die die Bildung von multiresistenten Keimen zur Folge haben. Antibiotika, Chlor und krebserregende Pestizide reichern sich in den Becken und den umliegenden Böden an und machen diese für Jahrzehnte nicht mehr nutzbar.
Wer meint, er könnte die negativen Folgen umgehen, indem er wild gefangene Shrimps kauft, täuscht sich. Die großen Shrimp-Trawler verwenden Grundschleppnetze, da Shrimps nachtaktiv und in Bodennähe unterwegs sind. Der Meeresgrund wird dadurch auf weiten Flächen zerstört und der Nachwuchs vieler Fischarten gefährdet, die wiederum den einheimischen Fischern als Lebensgrundlage dienen. Und nicht nur das. Laut FAO gehen etwa 35 Prozent aller bei der kommerziellen Fischerei anfallenden Beifänge auf Shrimpsfang zurück. 9)FAO (1994) : Fisheries Technical Paper 339, A global assesment of fisheries bycatch and discard, Artikel von 1996
Immer wieder hat der Bau von Aquafarmen zu offenen Konflikten mit der Bevölkerung geführt, die dabei aufgrund ihrer fehlenden Lobby und finanziellen Mittel keine Chance gegen die Shrimp-Industrie hat. Im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh sollen innerhalb von drei Jahren 48.000 Menschen aus ihren Dörfern an der Küste vertrieben und so zur Migration in die Städte gezwungen worden sein.10)Pro Regenwald: Mangrovenwälder; Artikel vom 30.10.2010 Straftaten bis hin zu Mord wurden gedeckt und die Betroffenen systematisch eingeschüchtert. In Ecuador werden die Einheimischen mit dem Einsatz von bewaffneten Wächtern vor vollendete Tatsachen gestellt.
In dem Land, das bereits den größten Teil seiner Mangrovenwälder an die Shrimpsfarmen verloren hat, ist die widerrechtliche Landaneignung besonders gravierend. Nach offiziellen Angaben sind 75 Prozent der Farmanlagen in Ecuador illegal, werden aber von den örtlichen Behörden stillschweigend toleriert. 11)Das Lateinamerika Magazin: Pures Wunschdenken: Die Öko-Garnele; Artikel vom Mai 20012 12)Pro Regenwald: Mangrovenwälder; Artikel vom 30.10.2010
Dennoch, der Bedarf ist so groß, dass seit mehreren Jahren auch nach Afrika expandiert wird.
In Madagaskar versucht man zwar, statt die Mangroven abzuholzen, die Shrimpfarmen hinter den Mangrovenwäldern anzulegen. Dennoch fließt das Abwasser durch die davor liegenden Mangroven und die giftigen Substanzen wie Chlor und Pestizide landen auch hier in den Böden. 13)Final Africa: Shrimp Aquaculture in Africa and the Middle East: The current reality and the trends for the future, Bericht von 2002
So werden die Mangrovenwälder dort zwar nicht gerodet, die massiven Umweltverschmutzungen und der Entzug der Lebensgrundlage werden jedoch auch dort nicht vor der einheimischen Bevölkerung Halt machen. 14)feednavigator.com: First ASC certified shrimp farm in Africa; Artikel vom 02.10.2016
Doch es gibt mittlerweile Alternativen. Durch das schlechte Image und die damit einhergehenden Umsatzeinbußen werden immer mehr Projekte mit nachhaltiger Produktion geschaffen. Sogenannte Zero-Input-Farmen und Bio-Aquakultur reduzieren die Besatzdichten in den Becken. Was bedeutet, dass weniger Tiere pro Becken gehalten werden und dadurch ohne Antibiotika gezüchtet werden kann. Auch gehört zum Konzept der Bio-Farmen, dass neue Mangroven gepflanzt werden. Die Idee ist gut, doch bei dem weltweiten Bedarf an Shrimps, nur ein Tropfen auf den heißen Stein. 15) WWF Blog: Beifang: Grausmes Sterben für eine Handvoll Shrimps; Artikel vom 25.04.2019 16) Fischratgeber WWF: Garnelen, tropische Shrimps 17) zeit.de: Rettet die Garnelen; Artikel vom 15.05.2019 18)wwf.de: Ist Aquakultur die Lösung?; Artikel vom 17.09.2018 19)fao.org: African Aquaculture: A Regional Summary with Emphasis on Sub-Saharan Africa; Artikel von 20-25.02.2000 20)wwf.de: Unsere Naturschutzerfolge 2016; nicht mehr verfügbar
Die Verantwortung liegt hier auch bei der EU und den USA, die zu den Hauptimporteuren von tropischen Shrimps gehören. Es müssten wesentlich deutlichere Signale und Stellungnahmen zu der Durchsetzung einer nachhaltigen, natur- und sozialverträglichen Produktion erfolgen.
Bis es soweit ist, kann nur jeder Einzelne sein Konsumverhalten hinterfragen und entscheiden, ob der Genuss von ein paar günstigen Shrimps es wert ist, Menschen im tropischen Raum ihre Lebensgrundlage zu entziehen.
Fußnoten und Quellen:
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