Aufgedeckt: Fragwürdige französische Rolle im Jemen mit Zahlen unterfüttert
In der Signalistgatan 9, einer ruhigen, von Bäumen gesäumten Seitenstraße, eingebettet in das Grün des Äppelträdgården-Parks, im Stockholmer Vorort Solna scheint die Muse derart präsent zu sein, dass man sich dort auch bedrückenden Themen wie den internationalen Rüstungsausgaben widmen kann. Hier ist das 1966 durch die schwedische Regierung in Form einer Stiftung gegründete „Stockholm International Peace Research Institute“ – kurz SIPRI – ansässig, das alljährlich Berichte über die Trends in den weltweiten Militärausgaben herausgibt. Im April dieses Jahres war es wieder soweit: Die von den Stockholmer Forschern veröffentlichte Studie zeigt auf, dass die weltweiten Rüstungsausgaben 2018 den höchsten Stand seit dem Ende des Kalten Krieges erreicht haben. 1.822 Milliarden Dollar haben alle Länder der Welt insgesamt in ihre militärische Stärke investiert. Dabei liegen die USA mit 650 Milliarden Dollar unangefochten auf Platz 1. Ihre Ausgaben betrugen so viel wie die der nächsten 8 Länder der TOP 10 – China, Saudi-Arabien, Indien, Frankreich, Russland, Großbritannien und Deutschland (in genau dieser Reihenfolge) – zusammen! Russland, das seine Militäraufwendungen um 3,5 Prozent kürzte, taucht zum ersten Mal seit 2006 nicht mehr in den TOP 5 auf. Dafür rückt Frankreich, wo man traditionell mit Stolz auf seine militärische Potenz blickt – zielführend scheint hier die Frage: „Wer hat die längste Rakete?“ [dieser kleine satirische Seitenhieb sei hier am Rande gestattet] –, unter die ersten Fünf vor. Diesen Positionswechsel wollen wir zum Anlass nehmen, um die französische Rolle im „Konzert der Großen“ einmal näher unter die Lupe zu nehmen. 1) SIPRI: Trends in world military expenditure, 2018; Studie von April 2019 2) Wikipedia: Stockholm International Peace Research Institute; Stand: 10.5.2019 3) Welt.de: SIPRI: Jetzt übertrumpft Frankreich Russland bei den Rüstungsausgaben; Artikel vom 29.4.2019 4) SIPER: TOP-10 der Länder mit den höchsten Rüstungsausgaben für 2018; Veröffentlichung von April 2019
Ein Großteil der Waffenströme fließt nach wie vor in den Nahen Osten. Dabei gehört Frankreich – neben den USA, Israel und Großbritannien – zu den Hauptprofiteuren des „Großen Geschäfts“. „Wir liefern der saudischen Luftwaffe nichts“, behauptete der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian noch im Februar dieses Jahres. Ist das wahr? Der neuen französischen Enthüllungsplattform „Disclose“ liegt ein als geheim eingestufter 15-seitiger Bericht des militärischen Geheimdienstes „Direction du Renseignement Militaire“ (DRM) vom September 2018 vor, der die französischen Waffenlieferungen seit Beginn des Jemenkrieges 2015 an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) aufführt und preisgibt, wo diese eingesetzt werden. Dem DRM-Bericht zufolge setzt die saudische Luftwaffe zwar keine französischen Bomben ein, verwendet aber das französische Laserleitsystem Damoclès, welches der Steuerung der Präzisionsraketen dient. Die VAE – ihrerseits wiederum Partner der Saudis – greifen auf britisch-französische Raketen des Typs Black Shaheen sowie französische AASM-Raketen, die von den ebenfalls im Jemenkrieg eingesetzten Mirage-Flugzeugen aus verwendet werden können, zurück. Darüber hinaus kommen auch die von unserem Nachbarland produzierten Cougar-Kampfhubschrauber sowie die A330 MRTT Tankflugzeuge von Airbus zum Einsatz. 70 französische Leclerc-Panzer operierten in den Offensiven der Saudi-Koalition gegen beispielsweise Zabild oder die große Hafenstadt Hodeida, über die alles Brot ankommt, das im Jemen gegessen wird. Damit lässt sich die Behauptung der Macron-Regierung, die Waffen würden nur zu Verteidigungszwecken vor Angriffen der Huthis, nicht aber zu Angriffen verwendet, nicht halten. Dies gab unter anderem Verteidigungsministerin Florence Parly noch im Juli 2018 zum Besten. 5) Telepolis: Frankreich: Waffenverkäufe für den schmutzigen Krieg im Jemen; Artikel vom 16.4.2019 6) Disclose: Yemen Papers; Veröffentlichung vom 15.4.2019
„Wir haben keine Kenntnis von zivilen Opfern, die aus ihrem Einsatz [dem Einsatz französischer Waffen; Anm. d. A.] im Jemenkrieg folgen.“ Die Waffen würden zur Verteidigung außerhalb von Jemen, aber nicht an der Front eingesetzt, so ein Sprecher der französischen Regierung. Tatsächlich begehen die Saudis und die Emiratis durch das Bombardieren von Zivilisten und die Blockade von Hilfslieferungen immer wieder Kriegsverbrechen. Dies bestätigte uns auch der Orientalist und langjährige Auslandskorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung im Nahen Osten Arnold Hottinger in einem Interview, welches wir im Dezember letzten Jahres mit ihm führten: „Die Schwierigkeit ist, dass die Saudis keine guten Truppen haben. Sie haben nur Bomben. Und mit den Bomben versuchen sie, das fruchtbare Land von Jemen so weit zu ruinieren, dass die Jemeniten verhungern. Das ist der Zweck der Übung.“ Die UN sprechen von der aktuell schwersten humanitären Krise: 7 Millionen Menschen sind unterernährt und 80 Prozent der Bevölkerung sind auf Hilfe angewiesen. Zehntausende von Kindern sind bereits verhungert und aufgrund von fehlendem sauberem Wasser breiten sich Epidemien wie Cholera rapide aus. 7) Telepolis: Frankreich: Waffenverkäufe für den schmutzigen Krieg im Jemen; Artikel vom 16.4.2019 8) Fluchtgrund.de: earthlink im Gespräch mit: Arnold Hottinger (Teil 3: Der Jemenkrieg); Artikel vom 6.2.2019
Angesichts all dieser schlechten Nachrichten ist es wichtig auch die positiven Nachrichten – und seien sie noch so „klein“ – nicht zu übersehen. Schließlich fällt jede Mauer mit einem ersten kleinen Riss. Begeben wir uns dazu nach Deutschland – genauer gesagt nach Münster –, wo drei jemenitische Staatsbürger vor dem dortigen Oberverwaltungsgericht (OVG) gegen das Verteidigungsministerium geklagt hatten, weil die Bundesrepublik, so die richtige Argumentation, mitverantwortlich für die tödlichen amerikanischen Drohnenangriffe, die vom US-Militärstützpunkt Ramstein in der Pfalz aus geflogen werden, sei. Die drei Männer hatten infolge der Angriffe in ihrer Heimat Angehörige verloren und fürchteten um ihr eigenes Leben. Zwar scheiterte ihr Anliegen, diese von Ramstein aus durchgeführten amerikanischen Drohneneinsätze komplett zu untersagen. Dennoch wurde die Bundesregierung dazu verurteilt, in Zukunft aktiv nachzuforschen, ob Drohneneinsätze der USA im Jemen unter Nutzung des amerikanischen Militärstützpunktes im pfälzischen Ramstein gegen Völkerrecht verstoße.
Die Menschenrechtsorganisation ECCHR spricht von einem „wegweisenden Urteil“. Der Vorsitzende Richter Wolf Sarnighausen sagte, Deutschland nehme selbst nicht an militärischen Drohnenaktivitäten teil und habe dies auch nicht gestattet. Die bisherige Annahme der Bundesregierung, für US-Rechtsverstöße gebe es keine Hinweise, beruhe auf einer „unzureichenden Tatsachenermittlung“. Das sei rechtlich nicht tragfähig. Darüber hinaus habe der Fall eine „besondere internationale Bedeutung“, so Sarnighausen. Immer wieder beklagen Menschenrechtsorganisationen und Beobachter vor Ort die zahlreichen zivilen Toten – manchmal Hochzeitsgesellschaften, in denen sich ein „Terrorist“ aufhielt, manchmal sogar spielende Kinder – durch die unbemannten Flugkörper. Es gebe Hinweise darauf, dass die Kläger „rechtswidrig in ihrem Recht auf Leben gefährdet werden“, so der Richter. Dieses Urteil nimmt die Bundesregierung in die Pflicht und ist Ausdruck eines sittlichen Verhaltens eines Richters gegenüber der Obrigkeit. Vom Verteidigungsministerium gab es dazu zunächst keine Stellungnahme. Ein kleiner Wehrmutstropfen ist, dass das OVG ob der politischen Brisanz des Falles eine Revision beim Bundesverwaltungsgericht zugelassen hat. Dies soll aber an dieser Stelle diesen wichtigen Teilerfolg nicht in den Schatten stellen. Dieser dient nämlich als Vorbild und könnte eine Präzedenzwirkung mit sich bringen, so dass – so bleibt zu hoffen – künftig die Friedens- und Konfliktforscher in Solna ihre Zahlen wieder nach unten korrigieren müssen beziehungsweise – in diesem Fall dann ja wohl eher: – dürfen. 9) Neue Osnabrücker Zeitung: OVG Münster: Gerichtsurteil: Deutschland muss US-Drohneneinsätze von Ramstein aus prüfen; Artikel vom 19.3.2019
Fußnoten und Quellen:
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