Angela Merkel auf Afrika-Reise: Investitionen alleine greifen zu kurz
Am Mittwoch dieser Woche ist Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einer dreitägigen Westafrika-Reise aufgebrochen, in der sie den Senegal, Ghana und Nigeria besucht. Auf dem Programm stehen Gespräche mit den jeweiligen Staats- und Regierungschefs über „bilaterale Beziehungen und regionale Fragen“ sowie Treffen mit Vertretern aus der Zivilgesellschaft. Begleitet wird sie von einer 11-köpfigen Wirtschaftsdelegation, darunter mittelständische Unternehmer aus den Bereichen Elektrifizierung, Wasserwirtschaft, Digitalisierung und erneuerbare Energien; aber auch Siemens-Chef Joe Kaeser ist mit an Bord. „Wir müssen jetzt lernen die Entwicklungszusammenarbeit in vernünftiger Weise mit privaten Investitionen zu kombinieren, um dann Schritt für Schritt zu einem selbsttragenden Aufschwung überzugehen“, sagte Merkel am Mittwoch in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Am Rande des Besuches wurde eine Investition über 120 Millionen Dollar durch die Firma Greiff vereinbart, im Rahmen derer 300 senegalesische Dörfer mit Solarstrom versorgt werden sollen. Große Investitionsprojekte sind jedoch nicht zu erwarten. Dafür ist das Bild vom Wirtschaftsstandort Afrika zu negativ geprägt: instabile Regierungen, Korruption und Bürokratie stellen für viele Unternehmer ein zu großes Risiko dar. 1) bundeskanzlerin.de: Angela Merkel. August 2018; nicht mehr verfügbar 2) n-tv: Merkel besucht den Senegal. Das Thema Migration ist schon da; Artikel vom 30.8.2018 3) WAZ: Worum es bei Angela Merkels Reise nach Afrika geht; Artikel vom 30.8.2018 4) n-tv: Fluchtursachen bekämpfen. Merkel startet Westafrika-Reise; Artikel vom 29.8.2018 5) Handelsblatt: Merkel auf Westafrika-Reise. Deutschland und Senegal – Mit Jobs gegen illegale Migration; Artikel vom 30.8.2018
Über der ganzen Reise schwebt jedoch unentwegt ein Thema: die Frage der Migration. Wie Regierungskreise bestätigten, ist Merkel daran gelegen, die Flucht von Menschen vor Armut, Hoffnungslosigkeit und Krieg einzudämmen, indem die wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgebaut werden soll. Der Senegal weist ein Wirtschaftswachstum von sechs bis sieben Prozent auf – was auf den ersten Blick sehr gut klingt. Zieht man jedoch das hohe Bevölkerungswachstum von drei Prozent mit in Betracht, wird deutlich, dass der Aufschwung nicht beim Gros der Bevölkerung ankommt. Im Gegenteil: die Jugendarbeitslosigkeit liegt im Senegal offiziell bei 40 Prozent; tatsächlich ist, wie die Außenstelle der Konrad Adenauer Stiftung (CDU) in Dakar mitteilt, davon auszugehen, dass sie „weitaus höher“ liegt. Ein wenig besser verhält es sich in Ghana: dort liegt die offizielle Arbeitslosigkeit junger Menschen bei 25,9 Prozent, wenngleich Beobachter auch hier realiter einen höheren Wert vermuten. In Nigeria, wo hinzukommt, dass aufgrund des Krieges gegen die Jihadisten von Boko Haram und IS im Norden des Landes viele Menschen auf der Flucht sind, beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 33,1 Prozent. Nur wenn die Aussicht auf Arbeit im eigenen Land wieder steigt, werden sich die jungen Menschen nicht mehr aufmachen, um ihr Glück in Europa zu suchen. 6) NachDenkSeiten: Hinweise des Tages; Artikel vom 30.8.2018 7) n-tv: Merkel besucht den Senegal. Das Thema Migration ist schon da; Artikel vom 30.8.2018 8) German Foreign Policy: Wie man Fluchtursachen schafft; Artikel vom 30.8.2018
In einer Umfrage äußerte sich die Hälfte der befragten Senegalesen sowie rund drei Viertel der befragten Ghanaer und Nigerianer dahingehend, dass sie ihr Land verlassen wollen, sofern ihnen die dafür nötigen Mittel zur Verfügung stehen und sich ihnen die Gelegenheit bietet. Niemand verlässt gerne sein Heimatland. Es geht also darum, sich den Fluchtursachen zuzuwenden. 9) NachDenkSeiten: Hinweise des Tages; Artikel vom 30.8.2018
Worin liegen die Fluchtursachen? Woraus speist sich die wahrgenommene Perspektivlosigkeit? Im Senegal beispielsweise sind die ehedem fischreichen Fanggründe der Küstengewässer infolge der Aktivitäten der großen Fangflotten aus EU, Russland und China mittlerweile stark überfischt. Dies setzt die senegalesische Fischerei, die ein Sechstel aller Arbeitsplätze im Land stellt, unter einen enormen Druck. Ein ähnliches Spiel ist in Ghana zu beobachten: Seit die EU ab den frühen 2000er Jahren damit begann, das kleine Land mit Dumpingexporten von Geflügelfleisch aus ihren Großschlachtereien zu überschwemmen, ist die heimische Geflügelindustrie kollabiert. 2003 lag die Kapazitätsauslastung ghanaischer Schlachthöfe nur noch bei 25 Prozent. Noch in den 1990er Jahren konnte das Land seinen gesamten Hühnerfleischkonsum durch eigene Produktion abdecken. Während 2010 der Geflügelfleischexport der EU nach Ghana 40.000 Tonnen umfasste, ist er vergangenes Jahr sogar um 75 Prozent bis auf 135.320 Tonnen angestiegen. Gespräche über derlei fluchtverursachende EU-Praktiken stehen nicht auf Merkels Programm. 10) German Foreign Policy: Wie man Fluchtursachen schafft; Artikel vom 30.8.2018
„Noch immer hungern 815 Millionen Menschen weltweit und die meisten von ihnen in Afrika südlich der Sahara und Südasien. Die Bekämpfung von Hunger und Armut sollte deshalb im Mittelpunkt der Gespräche stehen“, sagte Bärbel Dieckmann, die Präsidentin der Welthungerhilfe anlässlich der Reise der Bundeskanzlerin. „Wir begrüßen die Bemühungen um die wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents sowie Projekte zur Förderung von Bildung und Beschäftigung insbesondere für die Jugend. Trotzdem sollten die am wenigsten entwickelten Länder in der neuen Afrikastrategie besonders im Fokus stehen.“ Sehen wir uns hierzu einige Zahlen an: Der UNICEF-Report „Levels & Trends in Child Mortality“ von 2013 gibt bekannt, dass jeden Tag im Jahr ca. 8000 (!) Kinder unter fünf Jahren weltweit an den Folgen von Unterernährung sterben. Das sind 2,9 Millionen im Jahr. Hier sprechen wir nur von den Kindern unter fünf Jahren. Nehmen wir noch die älteren Kinder und die Erwachsenen mit hinzu, kommen wir auf 24.000 Menschen pro Tag. Das bedeutet, dass weltweit pro Jahr 9 Millionen Menschen verhungern! Auf den engen Zusammenhang zwischen Hunger und Rüstungsausgaben will Jean Ziegler, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, aufmerksam machen: „Die Koalition gegen den Terror ist zum Scheitern verurteilt, weil es zur gleichen Zeit keine Koalition gegen den Hunger gibt.“ 11) Epo.de: Afrika-Reise der Kanzlerin. Merkel besucht Senegal, Ghana und Nigeria; Artikel vom 29.8.2018 12) WHO: Levels & Trends in Child Mortality. Report 2013; Stand: 31.8.2018 13) Hinter den Schlagzeilen: Bomben zu Brotprogrammen oder noch mehr Kriegsgetrumpel; Artikel vom 6.3.2017 14) Connection: Torsten Brügge und Padma Wolff: Trauern um alle Toten; Artikel vom 28.3.2015 15) Gutezitate.com: Jean Ziegler; Stand: 31.8.2018
Ca. 600 Milliarden Dollar – so viel gaben die USA 2017 für Rüstung aus. Der Hamburger Autor Torsten Brügge stellte diese Zahl in einem Rechenbeispiel den 9 Millionen vom Verhungern bedrohten Menschen gegenüber. Wie wäre es, so fragte er sich, wenn die USA lediglich ein Prozent ihres Rüstungsetats, also 6 Milliarden Dollar, freistellten, um sie diesen Menschen in Form von Nahrungsmittelnothilfen zukommen zu lassen? Sage und schreibe 670 Dollar mehr hätte jeder einzelne dieser Menschen pro Jahr zur Verfügung. Das entspricht – gemessen an der oberen Armutsgrenze der Weltbank von 2 Dollar pro Tag – einem gesamten Jahreseinkommen armer Menschen. Kurz: Nur 1 Prozent der US-Rüstungsausgaben könnte umgeleitet den Hungertod in der Welt beenden. Doch Trump will jetzt das Kriegsbudget noch um 10 Prozent erhöhen!
Wie wäre es, wenn wir z.B. Merkels Afrika Reise zum Anlass nähmen, uns das Leiden dieser Menschen von Zeit zu Zeit ins Bewusstsein zu rufen? Brügge hat hierfür eine ganz besondere Idee: „Wie wäre es, wenn die Hauptnachrichtensendungen die nächsten Tage jedes Mal mit dem Aufmacher beginnen würden: ‚Heute sind wieder, wie jeden Tag im Jahr, weltweit 24.000 Menschen elend an Hunger gestorben.‘
Nur eine Woche lang nur dieser eine Satz. Jeden Tag neu. Jedes Mal mit echter Anteilnahme. Jedes Mal mit einer Träne mehr im Auge. Vielleicht stellen sich am Ende dieser Woche ein paar mehr von uns die Frage: „Was kann ich tun, um diese Zahl zu verringern?“ Und sei es noch so klein, was wir dazu beitragen können. Aber wollen wir nicht zumindest unseren Teil dazu tun, dass dieses Leiden so vieler unserer Mitmenschen nicht weiter einfach totgeschwiegen wird, als ob es uns nichts anginge?“ 16) Hinter den Schlagzeilen: Bomben zu Brotprogrammen oder noch mehr Kriegsgetrumpel; Artikel vom 6.3.2017 17) Connection: Torsten Brügge und Padma Wolff: Trauern um alle Toten; Artikel vom 28.3.2015
Fußnoten und Quellen:
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