Der transatlantische Sklavenhandel und seine fatalen Folgen für den afrikanischen Kontinent
Der Kontinent Afrika steht im 21. Jahrhundert weiterhin vor großen Herausforderungen, egal ob ökologischer, demografischer, politischer oder wirtschaftlicher Natur. Viele Forscher sehen einen Zusammenhang zwischen dem transatlantischen Sklavenhandel und der heutigen Situation Afrikas. Sie glauben, dass die Deportation ganzer Generationen junger Schwarzafrikaner bis heute für die Probleme mitverantwortlich sei.
Mit der Entdeckung Amerikas begann eine gewaltige Migrationsbewegung
Die Geschichte des Menschen ist eine Geschichte seiner Wanderung über die Erde. Ohne Migration gäbe es die Welt nicht, wie wir sie heutzutage kennen. Als Christoph Kolumbus 1492 einen neuen Seeweg nach Indien suchte und dabei die neue Welt betrat, setzte er eine völlig neue Migrationsbewegung in Gang. Die Europäer brachten fast alle 500 Millionen Menschen, die damals die Welt bevölkerten, direkt oder indirekt in Bewegung und die Kolonialisierung begann.
Europäer und „Indios“ trafen bei dieser Entdeckung das erste Mal aufeinander. Ihre Welten hatten sich in den Jahren davor völlig getrennt voneinander entwickelt und ihre Bewohner waren nicht nur komplett unterschiedlich, sie wussten nicht mal von der Existenz der jeweils anderen. Weder ahnten die Europäer damit, dass es Azteken gibt, noch rechneten die Azteken damit, dass jemals Europäer in ihre Welt kommen würden. Doch genau dies geschah und die Folgen waren verheerend: knapp 100 Jahre nach der Entdeckung der „Neuen Welt“ waren mehr als 90 der 100 Millionen Ureinwohner Amerikas gestorben, vor allem durch importierte Viren, gegen die sie nicht immun waren, wie Typhus, Pocken oder Masern. 1) TerraX: Die Reise der Menschheit – Fremde Welten (2/3); 2018
Der transatlantische Sklavenhandel kostete tausende von Menschen das Leben
Dies stellte für die Kolonialherren ein wirtschaftliches Problem dar, da nun billige Arbeitskräfte für die Bestellung ihrer Zuckerrohr-, Tabak- und Baumwollplantagen fehlten. So führte die eine Katastrophe zur nächsten. Denn die Kolonisten griffen auf eine alte, brutale Idee zurück: die Sklaverei. Ein Sklave gilt rechtlich als eine Sache und nicht als Person. Er ist der Willkür seines Besitzers ausgeliefert und in der Regel von Gesellschaft, Religion und Politik ausgeschlossen.
Es wurden damals hauptsächlich Schwarzafrikaner versklavt. Die meisten kamen dabei von der westafrikanischen Küste, aus Ghana. Afrikas kräftige, gesunde und junge Männer erfüllten die Ansprüche von Sklaverei sehr gut. Sie waren die besten und billigsten Arbeitskräfte. Der Transport von Sklaven war für europäische Kaufleute vor allem ein komplexes, interkontinentales Geschäft. Auf ihren Schiffen versuchten sie die Ware „Mensch“ mit möglichst geringen Investitionen an Nahrung und Raum über den Atlantik zu bringen. Für die Menschen, die als reine Handelsposten in dieser Gewinn-Verlust-Bilanz auftauchen, ist diese Versklavung eine nie endende Tragödie. Sie wurden von ihren Familien weggerissen, mit Gewalt gefügig gemacht und wochenlang in den Zwischendecks der Schiffe über das Meer transportiert. Da die Sklaven an Deck eng zusammengepfercht wie Tiere Hunger, Hitze und Krankheiten schonungslos ausgesetzt waren, starben auf der Fahrt über den Atlantik jeweils 10-20 Prozent dieser „menschlichen Fracht“. In den fast 400 Jahren transatlantischen Sklavenhandels wurden über 36.000 Reisen über den Atlantik getätigt und dabei um die 12 Millionen Afrikaner nach Süd-und Nordamerika geschifft. Das ist nur die Zahl, die Forscher dank noch vorhandener Schiffslisten und Zolldokumente verstreut auf der ganzen Welt nachweisen konnten. Historiker sind sich aber sicher, es gab noch viele mehr. Manche gehen von mehr als 20 Millionen verschleppten Menschen aus. Auf den Plantagen dienten die Afrikaner ihren Herren bis zu 20 Stunden am Tag. Auch in Bergwerken oder in den Häusern der Herrscher wurden sie als Diener eingesetzt. Arbeitsdisziplin wurde mit der Peitsche erzwungen, Ungehorsam mit Quälerei bestraft. Starb einer an den unwürdigen Lebensbedingungen oder den Misshandlungen, wurde er durch beständigen Nachschub ersetzt. 2) Cooperaxion: Sklaverei und der transatlantische Handel mit Gütern, Menschen und Kolonialwaren im 16. – 19. Jahrhundert; 2012
Die horrenden Auswirkungen auf die damalige Gesellschaft Afrikas und der profitable transatlantische Dreieckshandel des Westen
Sie zerstörten damit ganze Gesellschaften und Kulturen. Dezimierten die Bevölkerung in Afrika und traumatisierten unzählige Generationen, denn jeder Sklave war ein Vater, ein Sohn, ein Freund, ein Nachbar, ein Gleichgesinnter. Der damalige Rückgang der afrikanischen Bevölkerung ist also auf zwei Gründe zurückzuführen. Zum einen die enorme Deportation, zum anderen, dass diejenigen, die versklavt wurden, meist junge, starken Männer waren, die sich im reproduktiven Alter befanden. Sie waren diejenigen, die die Felder bestellten, in Minen arbeiteten oder Krieger waren, um ihren Stamm und ihre Familie zu schützen. Zurück blieben alleinstehende Frauen mit Kindern, Alte und Schwache. Eine ausgeblutete Gesellschaft. Es fehlten auf einmal tausende von Arbeitskräften, Kriegern und möglichen Fortpflanzungspartnern.
Die Sklaverei warf Unsicherheiten auf, die drastische Folgen hatten. Zum einen eine Zersetzung gesellschaftlicher Strukturen und eine Begünstigung von Korruption. Aber auch politische Instabilität, schwache Staaten, ethnische und politische Fragmentierung und eine Schwächung der rechtlichen Institutionen. Dies führte zur Stagnation von Wirtschaft und Innovation, wobei sich alle Produktionsprozesse auf ein Minimum reduzierten.
Die Folgen für Europa sahen parallel dazu ganz anders aus: Profit – indirekt, aber gewaltig. Der sogenannte transatlantische Dreieckshandel war für den Westen ein sehr lukratives globales Geschäftsmodell. Europa schiffte Textilien, Waffen mit Pulver, Pferde und Silber nach Afrika, dort wurden diese gegen Sklaven eingetauscht. Diese wiederum wurden auf den Schiffen nach Amerika verfrachtet und dort zu höchstmöglichen Preisen verkauft. Von dort fuhren die Schiffe wieder zurück nach Europa, vollbeladen mit Kolonialprodukten wie Kaffee, Tee, Gewürzen, Tabak, Baumwolle und Rohrzucker. Vor allem Kaufleute aus England, den Niederlanden und Frankreich tauschten Sklaven gegen Kolonialwaren. Auch die, die keinen direkten Sklavenhandel betrieben, verdienten. So beispielsweise die Kaufleute aus Hamburg, die mit dem Transport von Kolonialwaren ein Vermögen verdienten, das noch heute in der Stadt zu sehen ist. 3) TerraX: Die Reise der Menschheit – Fremde Welten (2/3); 2018
Die Langzeitwirkungen des afrikanischen Menschenhandels – eine Studie von Nathan Nunn, Professor für Wirtschaft an der Harvard University
Wissenschaftler glauben, dass einige Probleme Afrikas heute eine direkte Folge der Sklaverei sind. Europas Griff nach der Welt ist für sie also eine historisch bedingte Mitverantwortung für Afrikas derzeitige Unterentwicklung. Ohne den transatlantischen Sklavenhandel würden 72 Prozent der Einkommenskluft zwischen Afrika und dem Rest der Welt nicht existieren. Im Sinne wirtschaftlicher Entwicklung würde sich Afrika nicht bedeutsam von anderen Entwicklungsländern der Welt unterscheiden. Tut es aber, laut Historikern, aufgrund des transatlantischen Sklavenhandels.
Dr. Nunn, Professor an der Harvard University, ist einer dieser kritischen Wissenschaftler. Er befasste sich ausgiebig mit dem Thema, forschte lange Zeit und beschrieb seine Sicht der Dinge in einer wissenschaftlichen Arbeit. Die Ergebnisse sprachen Bände. Letztlich sind es die Folgen des 400 Jahre langen Sklavenhandels, unter denen der Kontinent bis heute massiv leidet und eine solch schlechte Leistung in der Wirtschaft abliefert.
Er überschlägt in seiner Arbeit zunächst die Anzahl an abtransportierten Sklaven aus jedem einzelnen Land aus Afrika im Zeitraum zwischen 1400 und 1900. Eine wichtige Grundlage sind die Hafenpapiere der Sklavenschiffe, mit denen für fast 35.000 Transporte, die zwischen 1514 und 1866 stattfanden, Abfahrtshäfen in Afrika und die Zahl der Sklaven an Bord herausgefunden werden konnten. Anhand von Registern, Aufzeichnungen von Märkten und Gerichtsdokumenten zieht er zudem Rückschlüsse auf die ethnische Herkunft der Sklaven. Davon ausgehend, rechnet der Ökonom hoch, wie viele Menschen aus welchen Regionen Afrikas verschleppt wurden. Am schlimmsten betroffen war Angola, wo 3,6 Millionen Menschen versklavt wurden, gefolgt von Nigeria, Ghana und Äthiopien.
Nunn weist nach: je stärker das Land vom Sklavenhandel betroffen war, desto schlechter steht es heute wirtschaftlich da. Viele Indizien deuten darauf hin, dass die Sklaverei tatsächlich für die wirtschaftlichen Probleme der Regionen verantwortlich ist. So zeigen Nunns Berechnungen, dass die Versklavung nicht in besonders armen, sondern in eher reichen Regionen Afrikas verbreitet war. Heutzutage zählen aber genau diese Regionen zu den ärmsten des Kontinents.
Die Sklaventreiber hatten zudem große Anreize, Bürgerkriege und Konflikte anzufachen, da diese ihnen die Arbeit erleichterten. Bestehende Staatswesen, zum Beispiel das Königreich Kongo, brachen durch diese Destabilisierung zusammen. Der Kollaps der staatlichen Institutionen dürfte zudem mitverantwortlich für die extreme ethnische Zersplitterung des Kontinents und die Behinderung des Aufbaus von größeren ethnischen Gruppen sein. 4)The Quarterly Journal of Economics: The long-term effects of Africa’s slave trades; 2007
Afrika kann sich in der Wirtschaft kaum behaupten
Das Erbe der Vergangenheit lebt noch heute weiter: Diese kleinteiligen gesellschaftlichen Strukturen erweisen sich in der heutigen Welt als extrem hinderlich. Arbeitsteilung und anonyme Markt-Transaktionen sind das Erfolgsgeheimnis moderner marktwirtschaftlich organisierter Gesellschaften. Dabei müssen sich fremde Menschen vertrauen und miteinander kooperieren, damit es funktioniert. Außerdem hinterließ die Kolonialzeit den afrikanischen Staaten eine überwiegend auf Monokulturen ausgerichtete Landwirtschaft und eine Industrie, die in erster Linie am Rohstoffexport orientiert ist. Nahezu alle Länder Afrikas stehen jetzt vor ähnlichen wirtschaftlichen Herausforderungen: einer notwendigen Industrialisierung und dem Aufbau einer international wettbewerbsfähigen Produktion bei gleichzeitiger Ausbildung von Fachkräften. Zudem ist die Zahl der Armen, die von weniger als 1,50 Dollar pro Tag leben müssen, seit Anfang der siebziger Jahre um mehr als 200 Millionen gestiegen. Das Durchschnitts-Pro-Kopf-Einkommen in Afrika liegt im Jahr 2000 bei 1,834 Dollar. Das ist bedeutend niedriger als das Durchschnittseinkommen der restlichen Welt, welches bei 8,809 Dollar liegt. Es ist auch niedriger als das anderer Entwicklungsländer. Dort verdient man im Durchschnitt 4,868 Dollar. 5) Handelsblatt: Afrikas trauriges Geheimnis; Artikel nicht mehr verfügbar
Im Jahr 2015 waren über 15 Millionen Menschen aus allen Teilen Afrikas auf der Flucht – vor allem aus dem Südsudan, dem Kongo, Somalia, Nigeria, Mali, Gambia oder Eritrea. Und noch immer fliehen jedes Jahr Tausende und erhoffen sich außerhalb ihrer Heimat Sicherheit und Frieden.
Fußnoten und Quellen:
Tobi
Veröffentlicht um 11:00h, 24 JanuarIch bin jetzt nur bis zur Bildunterschrift gekommen und mir schon da nicht mehr sicher, ob es sich lohnt weiterzulesen, wenn dort „Afrika als eines der ärmsten Länder der Welt“ bezeichnet wird….
Ernsthaft? Amerika soll ja auch ein schönes Land sein. Und Asien erst.
christian / earthlink
Veröffentlicht um 15:36h, 25 JanuarHallo Tobi,
der Fehler ist korrigiert. Das kann schonmal passieren.
Schade, dass Du deswegen gleich keine Lust mehr hast, den Artikel zu lesen.
Er ist sehr informativ.
Beste Grüße,
Dein earthlink-Team
Anton Wenger
Veröffentlicht um 18:23h, 10 JuniWer Politik verstehen will, muss Geschichte kennen. Viele uninformierte Bürger in unserem Lande
würden das Thema Flüchtlinglinge anders beurteilen, wenn sie sich nur mal die Mühe machen würden, die Gründe zu erfahren.
Ein Land wie unseres, das sich so einer Geschichte wie wir stellen muss, täte gut daran, darüber
nachzudenken, was aus uns geworden wäre, wenn die Siegermächte so grausam mit uns umgegangen wären.