Die westliche Politik in Libyen ist stümperhaft, unentschlossen und kriegsfördernd
Am 10. Oktober jährt sich der Tod des ehemaligen libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi zum sechsten Mal. Früher als Symbol der Demokratie und der einkehrenden Ruhe gefeiert, verbindet man nunmehr mit der Ermordung des Diktators den Beginn der blutigen Zeit. Seit dem Umsturz gleicht Libyen einem Scherbenhaufen und ist de facto ein gescheiterter Staat. Unzählige Milizen bekämpfen sich, die Truppen um Chalifa Haftar feiern Erfolg um Erfolg, die international anerkannte Regierung residiert im Exil, das Parlament wird vom libyschen Gerichtshof als illegal verurteilt und zu allem Überfluss versuchen andere Staaten ihre jeweiligen Interessen in Libyen durchzusetzen. Saudi-Arabien unterstützt gemeinsam mit Ägypten und Russland Chalifa Haftar, der erst Anfang Juli die Stadt Benghasi von der Herrschaft der Extremisten befreit hat. Das stärkt seine Position und delegitimiert gleichzeitig die offizielle Regierung. Auf der anderen Seite unterstützt die Ländergruppe um Katar, Türkei und dem Sudan islamistische Kämpfer im Westen, die 2014 unter dem Banner der Libyschen Morgenröte die von der Uno anerkannte Regierung nach Tobruk in den Osten vertrieb. 1) NZZ: Haftar verkündet Befreiung von Benghasi; Artikel vom 07.07.2017
Prägnant zusammengefasst, ergibt das eine geschwächte Staatsmacht, während libysche Milizen weiter an Einfluss hinzugewinnen. Gerade Haftar triumphiert nicht nur im Inneren des Landes, sondern erlangt auch auf internationaler Ebene Renommee und Relevanz. So hat am Dienstag der französische Präsident Emmanuel Macron eben jenen Haftar sowie den international anerkannten Premierminister Fayiz Sarradsch nach Paris zu Friedensgesprächen eingeladen. In einer gemeinsamen Erklärung verpflichten sich die beiden verfeindeten Seiten zu einem Waffenstillstand und baldigen Wahlen, damit Ruhe und Versöhnung einkehren kann. Die von Macron mit „historischem Mut“ gefeierte Übereinkunft weckt aber außerhalb des Élysées-Palasts weniger große Begeisterungsstürme. Die Lage scheint zu verworren, die Interessen der Parteien zu unterschiedlich und die islamistischen Milizen zu mächtig, damit ein längerfristiger Waffenstillstand möglich ist. Wenn nur zwei von unzählig aktiven Gruppierungen zu Friedensgesprächen eingeladen sind, ist die Erfolgsaussicht dementsprechend gering. 2) taz: Große Versprechen, kleine Aussichten; Artikel vom 26.07.2017 3) Zeit: Im Labyrinth libyscher Fronten; Artikel vom 26.07.2017
Vielmehr zeigen die Pariser Verhandlungen bei genauerer Betrachtung die miserable Politik des Westens auf. Zu keinem Zeitpunkt während des nun fast sechs Jahre andauernden Bürgerkriegs ist eine kohärente Politik zu erkennen gewesen. Einerseits wird nur die finanziell und militärisch schwache Regierung um Premier Sarradsch offiziell anerkannt. Andererseits aber unterstützen westliche Länder wie Frankreich, Großbritannien und Italien General Haftar, indem sie ein Kommandozentrum für Geheimdienstaktivitäten in der Nähe Benghasis eingerichtet haben. Ebenjenes war im Kampf um die Stadt äußerst hilfreich und verhalf Haftar erst zu der komfortablen Machtposition. Besonders Frankreich zeigt sich offen gegenüber dem Warlord und unterstützt ihn offiziell. Nach dem Motto der Zweck heiligt die Mittel, scheint Frankreich im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus jedes Mittel und jeder Kooperationspartner gelegen zu kommen. Auch vor dem Hintergrund, dass Haftars skrupellose Vorgehensweise landläufig bekannt ist. 4) taz: Große Versprechen, kleine Aussichten; Artikel vom 26.07.2017 5) NZZ: Haftar verkündet Befreiung von Benghasi; Artikel vom 07.07.2017
Diese aktuelle Entwicklung ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs, da bereits während der Aufstände gegen Gaddafi verheerende Fehler begangen wurden. Es ist bis heute unverständlich, wie der Westen zu akuten, militärischen Aktionen gegen Gaddafi greifen konnte, obwohl man für die Nachkriegszeit keinen konkreten Plan parat hatte. Federführend war hier die damalige Außenministerin Hillary Clinton, die unter den anfänglich positiven Eindrücken aus Ägypten und Tunesien auch in Libyen die revolutionäre Bewegung des Arabischen Frühlings verbreiten wollte. Der Plan mit Luftangriffen das Regime zu schwächen glückte schnell und nach dem Tod Gaddafis schien die Revolution perfekt. Nach dem Umsturz rief Clinton bei einem triumphalen Besuch Tripolis: „Wir kamen, wir sahen, er starb“. Heute erscheint dieser an Caesar angelehnte Satz geradezu zynisch. Der Richtigkeit halber müsste man auch letzteren Halbsatz mit „wir starben“ umschreiben, bedenkt man die unzähligen Kriegstoten, die infolge des Bürgerkrieges zu beklagen waren. Das hinterlassene Machtvakuum in Kombination mit einer fehlenden Nachkriegsordnung half den islamistischen Terroristen, Chalifa Haftar und zahlreichen anderen Akteuren zum Aufstieg. Die prodemokratischen Kräfte, auf die Clinton und die USA gesetzt hatten, erwiesen sich hingegen schnell als unfähig die öffentliche Ordnung widerherzustellen und sind mittlerweile wie paralysiert. So lässt sich bilanzieren, dass Clinton, die die Fehler der Irak-Intervention nicht wiederholen wollte und eine neue, smarte Außenpolitik anstrebte, ihr eigenes Waterloo in Libyen erlebte. Nicht nur die Kurzsichtigkeit ist erschreckend, auch die leichtgläubig, geradezu naive Politik der USA und des gesamten Westens ist bedenklich. Weder nach dem Tod Gaddafis noch in der Gegenwart ist eine langfristige und nachhaltige Strategie zu erkennen. So bleibt bloß zu konstatieren, dass diese sogenannte neue, smarte Politik des Westens von Beginn an von Fehlern, Unstimmigkeiten und Unentschlossenheit gekennzeichnet ist. Das wird auch in Zukunft alles, aber keinen Frieden bringen. 6) NZZ: Der wahre Skandal um Hillary Clinton; Artikel vom 16.07.2016 7) NYT:Hillary Clinton, ‘Smart Power’ and a Dictator’s Fall; Artikel vom 27.02.2017
Fußnoten und Quellen:
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